Jeder spricht über Digitalisierung, über Veränderungen, Agilität, Geschwindigkeit, Innovationszyklen, mobile Unternehmensapplikationen oder Netzwerke. Ein weiteres Schlagwort: Digitale Transformation. Unternehmen haben nur wenige Optionen: sich zu beeilen, um als Unternehmen zu überleben oder eben aus dem Markt verdrängt zu werden. Die Geschwindigkeit der Innovationen und technischen Entwicklungen ist so rasant und nicht aufzuhalten. Entweder die Unternehmen streben Veränderungen an, oder die globale Veränderung wird dazu führen, dass Unternehmen sich verändern müssen.
Im klassischen Retail kann man wunderbar nachvollziehen, wie sich Märkte und Konsumverhalten verändern. Die erste Welle des Online-Handels wurde ganz klar von vielen Einzelhändlern «verschlafen». Die nächste Welle ist bereits am Rollen, denn viele Hersteller gehen direkt in den Vertrieb und umgehen damit den Einzelhandel. Viele Hersteller haben einen Direktvertrieb oder eben mehrere Vertriebskanäle (Omni-Channel). Die Reaktion des Handels ist zu langsam.
Der Bereich operativer und strategischer Einkauf verändert sich ebenfalls im gleichen Tempo. Eine sehr aufstrebende Entwicklung ist das gesamte Management des Einkaufsvolumens oder auch Total Spend Management genannt. Hierbei fallen unterschiedliche Warengruppen, wie direktes Material (Handelswaren), indirektes Material (Gemeinkosten, Nicht-Handelswaren), Services, Dienstleistungen oder Reisekosten. Insbesondere der Handel fokussiert sich überwiegend auf Handelswaren und das taktische Verhandeln, mit Preisdruck auf der vierten Nachkommastelle, Delisting-Drohungen etc. Einen Bündelungseffekt bzw. die strategische Perspektive auf Gemeinkosten ist in vielen Unternehmen noch nicht etabliert. Die klassische Ausrichtung zwischen strategischem und operativem Einkauf sowie dem Warengruppenfokus für Handelswaren und Nichthandelswaren ist in vielen Handelsunternehmen nicht etabliert oder nur partiell. Der Blick in die Zukunft ist allerdings entscheidend.
Die wesentlichen Veränderungen und Entwicklungen im Bereich des Spend Managements sind: Die neue Technologie wird Mitarbeitern und Einkäufern die tägliche Anwendung extrem vereinfachen. Die Auswirkung ist signifikant, da die technologischen Entwicklungen und Innovationen so schnell sind, dass bereits erste Anwendungsfälle mit künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen gegeben sind. Die Innovationszyklen sind so schnell, dass viele Unternehmen bereits heute Schwierigkeiten haben, diese adäquat umzusetzen. Die meisten Unternehmen haben nach wie vor extreme Schwierigkeiten, eine saubere, bereinigte Datenbasis für das Einkaufsvolumen zu ermitteln. Spend Analyse ist bei Umfragen auch immer unter den meist genannten Themen im Einkauf. Maschinelles Lernen kann heute so eingesetzt werden, dass Analysen, Gruppierungen und Anreicherungen oder Prognosen automatisiert ablaufen. Zusätzlich können Warnmeldungen und Trends abgeleitet werden. Heute sind Echtzeit-Informationen entscheidend. Zukünftig werden die Systeme intelligenter, können mit Szenarien, Prognosen und deren Eintrittswahrscheinlichkeit hantieren. Zum Beispiel: Welche Artikel werden in den nächsten 24 oder 48 Stunden eingekauft und wo gibt es Engpässe? Welche Beziehung hat das Wetter auf den Getränkeabverkauf? Zu welchen Engpässen kommt es, wenn der Rhein nicht schiffbar ist? Analysen und Einkaufsszenarien müssen agiler werden.
Es wird Zeit…sich zu verändern
Der technologische Wandel ist schneller als zuvor und der Grad der Veränderung ist vielen Menschen noch nicht bewusst. Unternehmen müssen agiler werden und im Bereich des Einkaufs sich auf die gesamten externen Kosten fokussieren, weg von Silo- und Funktionsdenken. Der Prozess und die Digitalisierung stehen im Vordergrund, insbesondere Einkaufsprozesse wie (MRP, Abrufe, Kataloge, Services, Reisekosten, Zeitarbeit). Die Warengruppen-Klassifizierung und organisatorische Struktur ist wichtig, am Ende ist es jedoch der Prozess und der Geschäftspartner/Lieferant, der relevant ist. Insbesondere, wenn man eine end-to-end Digitalisierung anstrebt mit Omni-Channel Strategien, sind integrierte Prozesse essentiell.
Handelsunternehmen sollten zwingend Geschäftsprozesse auf ihren Digitalisierungsgrad untersuchen. Zudem muss ein Blick in die Zukunft erfolgen: welche Megatrends beeinflussen die Industrie und welche Konzepte werden disruptiv das Geschäftsmodell verändern. Aber auch der Dialog mit führenden Software-Anbietern hilft, Szenarien, Innovationen oder Design Thinking zu nutzen, um eine Digitalisierungsstrategie zu etablieren. Laut einer Umfrage des Beratungshauses Deloitte, haben 60 Prozent der Unternehmen keine Digitalisierungsstrategie im Einkauf und jedes fünfte Unternehmen hat nicht einmal begonnen sich mit Digitalisierung strategisch zu befassen. In einer globalen Umfrage mit über 2400 Teilnehmern haben Retail-Unternehmen den zweitschlechtesten Stand in Bezug auf Automatisierung im Einkauf. Lediglich die Finanzindustrie schnitt schlechter ab. Die Situation ist ernst: lediglich fünf Prozent der befragten Teilnehmer verfügen über hochautomatisierte Prozesse und Systeme, obwohl 83 Prozent der Befragten die Digitale Transformation und deren Implikation für Einkauf, Supply Chain und Finanzen stärker sehen als im Vorjahr. Zudem zeigt die Studie bedrohlich auf, dass Unternehmen aus EMEA bei der Adoption weit hinter anderen liegen. Unternehmen aus Asien und Australien führen bereits bei etablierten und implementierten Technologien wie Internet-of-Things, Robotic Process Automation, Machine Learning und Artificial Intelligence und beide liegen auch bei Zukunftsprognose und Weiterentwicklung vorne. Verliert Europa den Anschluss? Es wird Zeit zu handeln!
Autor:
Dr. Martin Kotula
Chief Value Advisor
Strategic Customers
SAP SE – SAP Ariba